Edition 5 Erstfeld

Nyffeler's List

Sammlungen haben und sind eine Biografie. Wenn viele
Dinge zusammenkommen, ist von persönlichen Gründen
auszugehen. Die Sammlung von Ruth und Jürg Nyffeler
funktioniert genauso. Seit 15 Jahren versammelt ihre
Edition 5 Objekte und Menschen. Und die bilden ein
biografisches Netzwerk – ihre Biografie, aber eben auch ein
wenig meine Biografie.

Beim Durchgehen der Künstlerliste bin ich auf Franz Fedier
gestossen. Meine Güte, habe ich gedacht. Ist das schon
lange her - Franz Fedier? Es muss 1976 gewesen sein, als
ich ihm begegnete. In einer Kirche oder Kapelle in Flüelen,
ich weiss es nicht mehr genau, hatte er eine Ausstellung.
Ich besuchte damals die Karl-Borromäus-Klosterschule in
Altdorf. Ein Gymnasium mit Internat. Und mein
Zimmerkollege Aleks Weber – er wurde später selber Maler
und erlangte wegen des Winterthurer Anschlags auf den
damaligen Bundesrat Friedrich eine gewisse Notorität –
machte mir die Fedier-Ausstellung schmackhaft. Gezeigt
wurden gelbe Bilder, die mit geometrischen, vertikalen
Strukturen operierten. Fedier stammte aus dem Urnerland
und war damals ein richtig angesagter Maler. Aber ich fand
die zweite Generation der Konkreten ziemlich langweilig,
befasste mich eher mit Fragen gesellschaftlicher Autonomie
und dem Crossover von Hoch- und Populärkultur als mit
linearen Ordnungsmustern. Inzwischen kann ich dem
Diskurs eines kosmologischen Systems durchaus etwas
abgewinnen, was wiederum biografische Gründe hat. Aber
das ist eine andere Geschichte.

Zurück zur Edition 5. Urner Reminiszenzen stellen sich
nämlich auch bei der Malerin Maria Zgraggen ein, die
ebenfalls auf Nyffeler's List fungiert. Genau genommen sind
es bei mir Aargauer Reminiszenzen. Und sie hängen mit
dem Schlafzimmer meines Ex-WG-Partners Paolo Bianchi
zusammen. Wir führten Mitte der Achtzigerjahre in einem
Haus in Baden, das ich von meiner Grossmutter
übernommen hatte, eine Kuratoren- und Kunstkritiker-
Kommune. Wir kultivierten die Provinz, veranstalteten
Happenings, Konzerte und Performances und luden allerlei
skurrile Leute zu uns nach Hause ein. Ausstellungen im
Gästeklo oder in der Küche waren unsere ersten
kuratorischen Fingerübungen. Eines Tages kam Paolo mit
einem Kleintransporter angefahren und lieferte zwei so
grosse Leinwände an, dass sie nicht durchs Treppenhaus
in seine Zimmer getragen werden konnten, sondern mit
einem Seil über den Balkon im zweiten Stock ins Haus
gehievt werden mussten. Die Riesenhelgen würden,
vermutete Paolo, die Speerspitze der Schweizer Jungen
Wilden bilden und dereinst mal was wert sein. Schliesslich
hätte Maria Zgraggen die Innerschweizer Sagen-,
Nymphen- und Erdmandlikultur quasi kongenial in die
gestisch-feministische Malerei transferiert.

Aber das ist erst der Anfang dieses (auto-)biografischen
Edition-5-Kreuzwegs, der mich an viele Episoden denken
lässt. Stefan Banz und Claude Sandoz kommen mir in den
Sinn – und eine gemeinsame, nächtliche Reise nach
Valencia in meinem schnellen BMW. Wir rollten die Fotos
von Banz in ein dickes Kartonrohr, packten es in den
Kofferraum, fuhren kurz vor Neun in Luzern los, holten
Claude in Genf ab, hörten Musik, redeten die ganze Nacht,
waren zum Frühstück in Barcelona und zum Lunch in
Valencia. Ich kuratierte eine Ausstellung mit Stefans
Fotografien, die er von seiner Familie angefertigt hatte.
"Door to Door" war der Titel, wie das gleichnamige Buch,
das wir herausgegeben hatten. Und wie das gleichnamige,
legendäre Video vom Nachbarn, der Banz beim
Kunstmachen eins auf die Rübe gibt. Das Bild seiner
hochschwangeren Frau löste im katholischen Spanien
Kontroversen aus. Der Schweizer Konsul beruhigte die
Situation, liess Fendant servieren und Käse mit
Schweizerfähnli auftragen. Für die Rückfahrt brauchten wir
noch weniger Zeit, was mir bei Stefan den Ruf des
kuratorischen Rennfahrers eingetragen hat. Das konnte
man dann übrigens auch in der "Weltwoche" nachlesen, wo
Lukas Lessing schrieb, Christoph Doswald habe den 'Fuss
auf dem Gaspedal und das Ohr am Handy'. Das war die
Nonchalance der späten Neunzigerjahre.

Aus den Achtzigern stehen für mich mit John Armelder und
Aldo Walker gleich zwei Heroen auf Nyffeler's List. Im
Frühling 1986 wurde ich beauftragt, die beiden zu
porträtieren weil sie die Schweiz an der Biennale in
Venedig vertreten haben. Ich fuhr nach Genf, wo mir John
einen Tag lang die Geschichte seiner Künstlergruppe Ecart
erzählte und die Bedeutung von Fluxus referierte – über
Neo Geo, damals immerhin die hippste Neu-Lancierung in
der Gegenwartskunst, ging das Gespräch gerade mal
fünfzehn Minuten. Bilder habe ich keine gesehen. Aldo
Walker musste ich bereits am frühen Nachmittag in einem
abgedunkelten Atelier besuchen. Seine Gemälde zeigten
semiotische Hybride, seine intelligente Schüchternheit war
reizend. John habe ich in den letzten Jahren immer wieder
getroffen, Aldo Walker ist, nach seinem frühen Tod, nahezu
verschwunden. Neulich wurde bei Germann Auktionen in
Zürich ein Bild seiner Biennale-Serie versteigert. Es ging für
verdammt wenig Geld weg.

Radikal über den Wert der Kunst und die eigene Künstler-
Biografie nachzudenken, ist das Anliegen von San Keller,
den ich immer mal wieder bei einem Bäcker im Kreis 4 in
Zürich getroffen habe, als mein Büro noch dort war. Oski
heisst der Mann. Er ist überzeugter Sozi, macht vorzügliche
Crèmeschnitten und fährt in der Freizeit Oldtimerrennen.
San ist Kulinarischem ebenfalls nicht abgeneigt. Aber Brot
ist Brot und Job ist Job. Er war an der Ausstellung "Konkret
Megamopp", die ich zusammen mit Cathérine Hug im
Herbst 2008 im Seedamm Kulturzentrum in Pfäffikon
kuratierte, mit einer Performance zu Gast. Während einer
Woche umrundete er täglich acht Stunden lang einen
grossen Konferenztisch, der sich in der Ausstellung befand.
Kunst ist Arbeit lautet sein Credo. Und das gilt auch für die
Edition 5. Hinter Nyffeler's List steckt nämlich nicht nur das
hoffentlich noch lange sich ausbreitende Netz- und
Lebenswerk von Ruth und Jürg Nyffeler, sondern auch sehr
viel Detailarbeit und ein grosses Engagement für die Kunst
und die Künstler.

Christoph Doswald

April 2009